LH³-Ringvorlesung zu Thomas Manns Meisterwerk „Doktor Faustus“ zum Nachhören

Thomas Manns „Doktor Faustus“ stand im Mittelpunkt einer Ringvorlesung, die im Wintersemester 2021/22 gehalten worden ist und zum Nachhören bereit steht. Referenten der Musikhochschule Lübeck (MHL), der Universität zu Lübeck und Gäste erschlossen in fünf Folgen das Meisterwerk des Lübecker Schriftstellers in Wort und Ton.

Zur Musik in "Doktor Faustus - Ein Versuch
Prof. Dr. Wolfgang Sandberger (Lübeck)

Hetaera Esmeralda und die Kunst der musikalischen Kryptografie
Prof. Dr. Oliver Korte (Lübeck)

Deutsche Geschichte im "Doktor Fraustus"
Prof. Dr. Hans Wißkirchen (Lübeck)

Adrian Leverkühn als Faust-Figur: "Dr. Fausti Weheklag" und das Ende des Romans
Prof. Dr. Friedhelm Marx (Bamberg)

Teufelsbündler: Zur Stoff- und Deutungsgeschichte des "Doktor Faustus"
Prof. Dr. Irmela von der Lühe (Berlin)

 

Zur Ringvorlesung und ihren einzelnen Folgen

Thomas Manns „Doktor Faustus“ gehört zu den vielschichtigsten und meistdiskutierten Werken des Lübecker Nobelpreisträgers. Den historischen Faust-Stoff präsentiert er in seinem letzten großen Werk in neuem Gewand: Hauptfigur ist der geniale Komponist Adrian Leverkühn, der einen Pakt mit dem Teufel schließt, um sich kompositorische Inspiration und Erfolg zu sichern. In Kooperation der MHL mit der Universität und der Kulturakademie der Vorwerker Diakonie nahm die Ringvorlesung „Doktor Faustus“ verschiedene Aspekte des bedeutenden Musikerromans aus musik- und literaturwissenschaftlicher Perspektive in den Blick. Es referierten Professorinnen und Professoren aus ganz Deutschland: Wolfgang Sandberger (Lübeck, 5. Januar), Oliver Korte (Lübeck, 12. Januar), Hans Wißkirchen (Lübeck, 19. Januar), Friedhelm Marx (Bamberg, 26. Januar) und Irmela von der Lühe (Berlin, 2. Februar). Alle Vorlesungen wurden von Studierenden der MHL musikalisch begleitet.

Eröffnungsredner Wolfgang Sandberger, Professor für Musikwissenschaft an der MHL, erläuterte: „Thomas Mann ist der musikbegeistertste Autor der Weltliteratur. Auch der Roman ‚Doktor Faustus‘ ist eine Fundgrube für die Verbindung von Musik und Literatur. Dieses Zusammenspiel spiegelt unsere Ringvorlesung: Alle Vorträge werden unmittelbar mit einem Klangerlebnis verknüpft.“ Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Sprecher des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck, Mitinitiator der Reihe, betonte die Aktualität des Romans: „Thomas Manns großer Altersroman ist eines der zentralen Fundamente für seinen weltweiten Ruhm. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass das Buch in vielen Teilen auch als Analyse gegenwärtiger Fragen gelesen werden kann.“

In virtuoser Montagetechnik verarbeitet Mann philosophische und kulturtheoretische Ansätze des frühen 20. Jahrhunderts. Er bedient sich dabei zahlreicher musikwissenschaftlicher Werke und Biografien: Er zieht Briefe von Hugo Wolf heran, Memoiren von Berlioz und Strawinsky, Lebensbeschreibungen von Beethoven, Mozart und Wagner sowie zahlreiche Quellen zur neuesten Musik seiner Zeit, der Zwölftonmusik Schönbergs. Großen Einfluss auf den Text hatte der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno, der Thomas Mann während seiner Arbeit am Roman regelmäßig beriet. Adorno half auch beim Erdenken der „Kompositionen“ Leverkühns, die Mann so brillant beschreibt, als müsse es sie tatsächlich geben. Vor dem Hintergrund der düsteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklung im kalifornischen Exil geschrieben, ist Manns epochaler Roman gleichzeitig eine Abrechnung mit Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus.

Mit Unterstützung der Possehl-Stiftung wurden die Vorlesungen im Großen Saal der MHL aufgenommen und von der Kulturakademie der Vorwerker Diakonie postproduziert. Die fünf Veranstaltungen können im MHL-Streaming-Kanal abgerufen werden.

Folgen:

Zur Musik in "Doktor Faustus - Ein Versuch

Prof. Dr. Wolfgang Sandberger

Musik von Beethoven mit Viktor Soos (Klavier).

Wolfgang Sandberger gibt eine Einführung zur Bedeutung der Musik in Thomas Manns „Doktor Faustus“ und verortet sie im Schaffen des musikbegeisterten Schriftstellers. Dabei spannt er einen Bogen vom Marienorganisten Edmund Pfühl aus den „Buddenbrooks“ über die Unterhaltungsmusik der 1920er Jahre in der Novelle „Unordnung und frühes Leid“ bis hin zu den zahlreichen musikalischen Bezügen im Spätwerk „Doktor Faustus“. Im Fokus steht hierbei vor allem Wendell Kretzschmars Vortrag zur Sonate op. 111 von Ludwig van Beethoven – eine der berühmtesten Musikbeschreibungen der Literatur überhaupt. Der junge MHL-Pianist und Possehl-Preisträger Viktor Soos wird diese Sonate im Anschluss zu Gehör bringen.

Hetaera Esmeralda und die Kunst der musikalischen Kryptografie

Prof. Dr. Oliver Korte

Musik von Hollandt, Bach, Fesca, Schumann, Gade und Korte mit Jakob Linowitzki (Klavier), Jan Köhler (Schlagwerk) und dem Quartetto Floriani.

Oliver Korte stellt die musikalische Kryptografie in den Fokus seines Vortrags, die bei „Doktor Faustus“ eine bedeutende Rolle einnimmt. Die aus der Schmetterlingsart „Hetaera Esmeralda“ abgeleitete Tonfolge h-e-a-e-es zieht sich als Chiffre durch viele der fiktiven Kompositionen Adrian Leverkühns. Sie ist als Emblem seines Paktes mit dem Teufel zu verstehen und gleichzeitig ein Schlüssel dafür, wie der Roman zu lesen ist: als hochgradig verschlüsseltes „Geheimwerk“. Jakob Linowitzki (Klavier), Jan Köhler (Schlagwerk) und das Quartetto Floriani zeigen mit Werken aus vier Jahrhunderten von Bach bis zu einer Eigenkomposition des Referenten ganz unterschiedliche raffinierte Spielarten der musikalischen Kryptografie auf.

Deutsche Geschichte im "Doktor Fraustus"

Prof. Dr. Hans Wißkirchen

Musik von Schumann, Wagner/Liszt, Webern, Schönberg und Eisler mit Mert Yesilmenderes (Klavier), Jasmin Delfs (Sopran) und Changhyun Yun (Bass).

Hans Wißkirchen sieht durch Manns Auseinandersetzung mit ästhetischen, musikalischen und politischen Fragen in „Doktor Faustus“ nicht nur einen Gegenstand für die kulturwissenschaftliche Forschung. In seinem Vortrag nimmt er Manns Verhältnis zur Musik und zur Politik in den Blick und zeigt auf, dass der Roman, gerade im Politischen, auch heute noch von einer geradezu frappierenden Aktualität ist. Mert Yesilmenderes (Klavier), Jasmin Delfs (Sopran) und Changhyun Yun (Bass) präsentieren Werke, die ein Stück deutscher Musikgeschichte repräsentieren: vom romantischen Kunstlied, über Wagners Musikdrama bis hin zur Entwicklung der Zwölftontechnik, die im Faustus-Roman eine bedeutende Rolle einnimmt und der Musik Hanns Eislers aus dem amerikanischen Exil.

Adrian Leverkühn als Faust-Figur: "Dr. Fausti Weheklag" und das Ende des Romans

Prof. Dr. Friedhelm Marx (Bamberg)

Musik von Monteverdi, Schönberg und Berg mit Mert Yesilmenderes (Klavier), Celina Denden, Nataliya Bogdanova (Sopran), Johanna Thomsen (Mezzosopran) und Ulf Dressler (Theorbe).

Friedhelm Marx untersucht in seinem Vortrag, wie der Roman die mythische Geschichte des Teufelsbündlers Faust mit der prekären Gegenwart Deutschlands im Nationalsozialismus verbindet. Dabei steht das letzte Kapitel des Romans, in dem viele mythische und politische Fäden zusammenlaufen, im Mittelpunkt. „[…] etwas Modernes, aber mit mythischen Einschlägen immerhin: eine Art von Teufelsverschreibungs-Geschichte, deren Held ein Künstler (Musiker), kurzum eine unheimliche und komplizierte Sache, die auch die Traurigkeit des deutschen Schicksals mit einschließt“ – so skizziert Thomas Mann selbst am 9. Mai 1943 in einem Brief an Ida Herz sein neues Romanprojekt. Adrian Leverkühns letztes Werk, die Symphonische Kantate „Dr. Fausti Weheklag“ rückt Mann in die Nähe ganz unterschiedlicher realer Vorbilder, die Mert Yesilmenderes (Klavier), Celina Denden, Johanna Thomsen, Nataliya Bogdanova (Gesang) und Ulf Dressler (Theorbe) hörbar machen.

Teufelsbündler: Zur Stoff- und Deutungsgeschichte des "Doktor Faustus"

Prof. Dr. Irmela von der Lühe (Berlin)

Musik von v. Arnim, Busoni und Henze mit Pauline Kringel, Xiaofang Zhao (Sopran), Lea Kollath, Jason Ponce, Ninon Gloger (Klavier), Swantje Wittenhagen (Harfe), Aaron Biebuyck (Violine) und Julia Real (Oboe).

Als Scharlatan, Hochstapler und Teufelsbündler hat Heinrich Faust, eine Figur aus dem 16. Jahrhundert, in der deutschen Literatur-und Kulturgeschichte schon eine steile Karriere hinter sich, ehe er als „Doktor Faustus“ alias Adrian Leverkühn von Thomas Mann zur Allegorie Deutschlands gemacht wird. Als „gewaltsame Parallele“ und „anachronistische Symbolik“ wurde Thomas Manns literarische Arbeit am Faust-Mythos kritisiert. Irmela von der Lühe geht in ihrem Vortrag den Umdeutungen und Aktualisierungen nach, die „Faust“ als historischer Stoff und zentrale Figur der Literaturgeschichte in „Doktor Faustus“ erfährt. Pauline Kringel, Xiaofang Zhao (Sopran), Lea Kollath, Jason Ponce und Ninon Gloger (Klavier), Swantje Wittenhagen (Harfe) und Aaron Biebuyck (Violine) präsentieren Werke, die exemplarisch für drei unterschiedliche Fassungen des Faust-Stoffes stehen: ein Kunstlied von Bettine von Arnim nach Goethes „Faust“, eine Arie aus Ferruccio Busonis Oper „Doktor Faust“ und schließlich ein Satz aus einem Violinkonzert von Hans Werner Henze nach Manns „Doktor Faustus“.